[inspic=122,left,fullscreen,300]Am heutigen Tag erwartet uns eine Stadtrundfahrt der etwas anderen Art: Alois Kennerknecht, der seit 1986 in Lima lebt und hier zahlreiche Projekte in der Entwicklungshilfe initiiert hat, führt uns mit dem Auto durch die Armenviertel der Stadt und zeigt und sein Ecosilo Projekt. Von Dominik Oepen.
Ehrenamtliches Engagement
Abgeholt werden wir von Eva, einer Studentin aus Leipzig, die zur Zeit ein Freiwilligenjahr in Peru macht. Sie unterstützt Familien mit behinderten Kinder in den Armenvierteln der Stadt und hilft den oftmals überforderten Eltern bei den nervenaufreibenden Auseinandersetzungen mit den Behörden. Alois erklärt uns, dass dies ein wichtiger Nebeneffekt der Ecosilos sei: Man kommt in die Häuser der Familien hinein, sieht und versteht ihre Lebensumstände und bemerkt so, wo Hilfe am Dringendsten gebraucht wird.
Die Ecosilos sind Alois erfolgreichstes Projekt. Es handelt sich dabei um Betonwannen mit einem Fassungsvermögen von insgesamt 1,5 Kubikmetern, die in den Boden eingelassen werden. In diesen Silos wird anschließend organischer Abfall gesammelt, welcher sich nach sechs Monaten in ein kostbaren Gut verwandelt: in nahrhaften Humus. Dieser kann anschließend zum Anbau von Pflanzen, Obst oder Gemüse verwendet werden.
[inspic=123,right,fullscreen,300]Das Leben im Pueblo Joven („Juges Dorf“)
Warum dieses Projekt, welches auf den ersten Blick banal erscheint, so wichtig ist, erschliesst sich uns bei einem Blick aus dem Fenster unseres Autos: Wir sind mittlerweile in „San Juan de Miraflores“ angekommen und das Stadtbild hat sich stark gewandelt: Auf den Straßen liegen Berge von Müll, am Straßenrand stehen verfallene Häuser, überall türmen sich Schutthaufen auf. In die Berge im Umland sind tausende von einfachen Hütten in den Fels gehauen. Wir halten auf einem Hügel, von dem aus wir ansatzweise die Ausmaße der Stadt erfassen können. Vor uns erstreckt sich „Pamplona Alta“, bestehend aus zehntausenden von einfachsten Hütten. Der Gestank ist allgegenwärtig, ab und zu atmen wir den beißenden Rauch von brennendem Müll ein.
Dieses Viertel, so erzählt uns Alois, ist gerade einmal 15 Jahre alt. Die ganze Stadt wächst mit rasender Geschwindigkeit, was vor allen an den andauernden Gebietsbesetzungen liegt. In Peru ist es nämlich üblich, dass man für ein Stück Land, welches man fünf Jahre lang besetzt gehalten hat, Besitzansprüche anmelden kann. Und so kommt es immer wieder vor, dass über Nacht tausende von Menschen ein Gebiet besetzen und dort provisorische Behausungen errichten. Infrastruktur ist in solchen Vierteln kaum vorhanden, Wasser gibt es nur aus Zisternen, Müll wird einfach auf die Straße geworfen.
Der Ursprung des Ecosilo
Als wir weiterfahren sehen wir einen toten Hund im Straßengraben liegen. „Der bleibt hier liegen, bis die Fliegen ihn gefressen haben“, meint Alois dazu. Der biologische Müll sei das größte Problem. Jedes Jahr wird Plastikmüll im Wert von 4 Milliarden US Dollar recycled und von Peru nach China exportiert. Doch der organische Abfall bleibt liegen, wird höchstens auf der Straße verbrannt. Die gesundheitlichen Schäden für die Bevölkerung sind enorm. Alois erzählt uns, dass es kaum eine Straße ohne Apotheke gibt. In manchen Vierteln liegt die Geburtenrate von behinderten Kindern weit über dem Durchschnitt.
Hier setzt Alois Idee mit den Ecosilos an. Wer eines hat wirft seinen organischen Müll nicht mehr auf die Straße und kann den entstehenden Humus nach 6 Monaten zur Begrünung nutzen. Seine Vision ist es, die Ecosilos in ganz Lima zu installieren und somit die Gesundheit der Bevölkerung und das Stadtbild zu verbessern. Damit soll auch der Bezug zwischen dem Verhalten der Menschen und der Umweltverschmutzung vermittelt werden. Dass dieses Konzept aufgeht, sehen wir auf unseren nächsten Stationen – zum Beispiel in der Schule „Amor de Dios“ im Stadtteil „San Gabriel Villa Maria del Triunfo“.
Aufkeimendes Ökobewußtsein
[inspic=170,left,fullscreen,300]Vor neun Jahren begann die Kooperation von Alois mit dieser Schule an der 1500 Kinder unterrichtet werden. Damals rief in die Direktorin der Schule an und wollte „den Verrückten, von dem man sagt, dass er Bäume in der Wüste pflanzt“ kennen lernen. Das Ergebnis: Heute wird jeder Freiraum für bepflanzt. Zwei mal im Jahr bringen die Schüler Biomüll von zu Hause mit und werfen ihn in die Ecosilos der Schule. Es gibt Flaschensammlungen, deren Erlös an Schulen in anderen Ländern gespendet wird. Die Eltern helfen beim Ausbau, zum Beispiel bei der Errichtung von Terassen auf denen Gemüse und Obst angepflanzt wird. Die Nachbarn griffen die Idee schnell auf, heute kann man überall Pflanzen in den Höfen sehen. In den Vierteln, in denen es Ecosilos gibt, liegt kaum Müll auf den Straßen, die Luft ist merklich besser und durch die Pflanzen wirken auch einfache Behausungen sehr viel wohnlicher.
Nicht alles ist im grünen Bereich
Doch es gibt auch immer wieder große Rückschläge. Wir halten an einem Platz, der von Müll und Schutt überhäuft ist, nur wenige Bäume stehen herum. Alois gibt uns Fotos, die den selben Platz vor zwei Jahren zeigen. Auf den Bildern ist ein herrlicher Park, mit Unmengen von Pflanzen und Bäumen zu sehen. Kaum zu glauben, dass es sich um den selben Platz handeln soll, vor dem wir gerade stehen. Mit verbitterter Miene erzählt Alois, wie von der Gemeinde in einer Nacht 2000 Bäume vernichtet wurden, finanziert durch das „programa de trabajo“ („Arbeitsprogramm“). Die Begründung: Müllentsorgung und Grünflächen sind Aufgaben der Gemeinde und dürfen nicht von Privatpersonen übernommen werden. Der Hintergrund dieses paradoxen Verhaltens ist, dass die Gemeinde Angst um die Subventionen hat, welche sie für diese Aufgaben erhält: Wenn alles sauber und grün ist, warum sollte die Gemeinde dann noch weitere Mittel erhalten?
[inspic=165,right,fullscreen,300]Solche Geschichten kennt Alois zur Genüge. Zum Beispiel von einer Kirche, die jedes Jahr 90 000 US-Dollar für verhungernde Kinder erhält, sich aber weigert, Salat oder Tomaten auf ihrem Grundstück anbauen zu lassen. „Das Armutsbild muss aufrecht erhalten werden, damit die Entwicklungsgelder weiter fließen“, meint Alois dazu. Auch auf die Entwicklunghilfeorganisationen ist er nicht gut zu sprechen. Es mangle an Zusammenarbeit, oftmals herrsche purer Aktionismus vor und die verschiedenen Organistationen versuchen sich gegenseitig „Kunden“ abzujagen, um mehr Spendengelder zu erhalten.
Der Schein trügt
Doch auch in den Armenvierteln ist nicht alles wie es scheint. Gegen Ende unserer Stadtrundfahrt fahren wir nach „Villa El Salvador“. In diesem distrito (Bezirk) besetzten in der Nacht vom 8. auf den 9. April 2007 etwa 2000 Menschen das Gebiet, welches eigentlich für eine neue Universität vorgesehen war. Als wir durch die Siedlung spazieren, wundern wir uns, dass einige der Hütten mit Fernsehgeräten, DVD Player und elektrischen Öfen ausgestattet sind. Alois erklärt uns daraufhin, dass diese Hütten für viele der Besetzer bereits das zweite oder dritte Grundstück sind. Es gebe sogar Fälle in denen eine einzige Person acht Häuser und mehr besessen hätten. Die Häuser würden dann so lange besetzt, bis offizielle Ansprüche angemeldet werden können und anschließend weitervermietet. Es ist also nicht unbedingt die absolute Unterschicht die hier lebt. Vielmehr sollen die Hütten der Vermögensabsicherung dienen.